Thema: Verliebt sein vs. Liebe
Nach so vielen hoch trabenden, teils sehr abstrakten Betrachtungen über Spiritualität zur Abwechslung mal was bodenständiges.
Verliebt sein ist oberflächlich betrachtet eine ganz tolle Sache. Es hebt das Bewusstsein und taucht die ganze Welt in einen wunderbaren Glanz, verbindet uns mit der ewigen Glückseligkeit. Wer wäre da so dumm und würde sich dagegen wehren?
Die Sache hat aber einen ganz entscheidenden Haken: sie läuft vollkommen unbewusst ab. Man begegnet einem Menschen, der den unbewussten Vorstellungen vom idealen Partner sehr nahe kommt, und schon rastet irgend etwas ein, was jede nähere, kritische Betrachtung dieses Menschen, über den man gar nichts weiß, verhindert. Hinzu kommt noch der Reiz des Neuen, der Geschmack von Abenteuer, der die Sache einfach unwiderstehlich macht.
Deshalb ist es psychologisch gesehen für pubertierende Teenager eine vollkommen gesunde, natürliche Sache, die zu für die Entwicklung wichtigen Erfahrungen und Erkenntnissen führt, für reife, erwachsene Menschen dagegen eine Krankheit, die durchschnittlich 3 bis 6 Monate anhält. Dann kommt es zur meist sehr schmerzhaften Ernüchterung, weil man aus dem Traum erwacht, wodurch sämtliche Idealisierungen sich als Illusion entpuppen und man den vermeintlich geliebten Menschen endlich so sieht, wie er wirklich ist. Und das hat dann mit dem Blick durch die rosa Brille, der erfolgreich alle negativen Seiten ausgeblendet hat, meist so gar nichts mehr zu tun.
Außerdem hat der Rosabrilleneffekt auch noch die äußerst unangenehme Nebenwirkung einer völligen Realitätsentfremdung. Das heißt, man nimmt auch den ganzen Rest der Welt verzerrt war, was nicht nur die Beziehung zum sozialen Umfeld gefährdet und zu allen möglichen Fehlinterpretationen und gefährlichen Wahrnehmungsverzerrungen führen kann, sondern auch die unweigerlich folgende Ernüchterung mitunter zu einem schlimmeren Alptraum werden lässt, als ein Drogenentzug.
Und das vielleicht Schlimmste daran ist, dass man es aufgrund der völlig veränderten gesamten Wahrnehmung als Betroffener auch noch leicht mit einer spirituellen Transformation verwechseln kann.
Mit Spiritualität hat das Ganze aber natürlich absolut gar nichts zu tun. Es läuft, wie gesagt, komplett auf einer Ebene der unbewussten Identifikation ab und taucht die Betroffenen zwar vorübergehend in Wonne, trennt sie aber vollkommen vom Gewahrsein, von ihrer Essenz, ihrem wahren Selbst ab und zieht sie in die Außenwelt. Das wiederum erzeugt eine unbewusste Abhängigkeit.
Wird die vermeintliche Liebe (mit wahrer Liebe hat das auch absolut nichts zu tun) nicht mehr erwidert, weil der Partner die rosa Brille zuerst abgesetzt hat, dann kommt wegen der Abhängigkeit der schmerzhafte Absturz auch schon mal etwas früher.
Als sehr interessante Alternative mit durchaus vergleichbaren positiven Eigenschaften, aber weniger unangenehmen Nebenwirkungen hätte ich da gerade die wahre, spirituelle Liebe im Angebot.
Fortsetzung folgt.